Kurt Mitterndorfer / Arnulf Kossak
Köpfe
1. Auflage:
Arovell-Verlag, ISBN: 978-3-902-54712-5
2. Auflage 2017:
Edition 51, ISBN: 978-3-200-04945-1
Köpfe
Nun gut, ich geb ja zu, es gibt hübschere Menschen als mich.
Aber was hilft es einem, wenn man hübsch ist?
Ich meine, wie sagt man? „Die wahre Schönheit kommt von innen”. Oder „außen hui, innen pfui!”
Selber Sachverhalt, selber Inhalt, nur die Ausgangspunkte der Beobachter sind verschieden. Der eine setzt innen an, der andere geht von außen an die Sache heran. Aber unterm Strich kommt dasselbe heraus.
Schönheit ist nicht alles.
Ich gehe weiter, ich sage, Schönheit ist das Letzte.
Ich weiß, heutzutage ist das eine etwas, was heißt etwas, heutzutage ist das eine absolut antiquierte Ansicht.
Vielleicht bin ich antiquiert. Wahrscheinlich sogar bin ich absolut antiquiert.
Werte, innere Werte, wer hat die heute noch. Und wenn sie einer hat, dann schaut er doch absolut drauf, dass er sie versteckt. Soll doch niemand merken, dass man sich Gedanken macht. Gedanken über dies und das. Das Denken ist grundsätzlich verpönt, heutzutage. Denker sind Spinner, Spinner sind Verrückte, Verrückte sind gefährlich. Denker sind gefährlich. Zumindest, wenn sie Freidenker sind.
Wer denkt ohne den Auftrag dazu zu haben, ist gefährlich. Denken macht gefährlich. Denken gefährdet die Umwelt. Wer denkt, macht Fehler, nur wer nicht denkt, macht keine Fehler. Aus Fehlern lernt man. Wer aus Fehlern lernt, macht Fortschritte. Denkfortschritte. Denkt noch mehr, denkt anders. Andersdenker sind doppelt gefährlich. Stellen alles in Frage. Wer alles in Frage stellt, macht sich strafbar. Eckt an. Gerät in ein schiefes Licht. Heutzutage. Früher war das anders. Früher sollte man denken, früher war es eine Ehre als Denker bezeichnet zu werden. Heute ist „Denker” ein Schimpfwort. Schaut euch den an, der denkt! Igitt! Kommt ihm nicht zu nahe. Wer weiß, vielleicht ist das ansteckend. Denken ist ansteckend. Vorsicht! Sicherheitsabstand. Da ist ein Denker. Schnappt ihn euch! Ab mit ihm, in die Quarantäne-Station. Wie lange dauert das, einem Denker das Denken abzugewöhnen? Keine Ahnung. Wird wahrscheinlich Monate dauern. Jahre mitunter. Wird von Typ zu Typ verschieden sein, denke ich. Der Eine wird es bald aufgeben zu denken, wenn er merkt, dass er alleine ist, der Andere wird weiterdenken, wird erst recht zu denken beginnen, richtig zu denken beginnen, wenn er alleine ist, ihn nichts mehr vom Denken ablenken kann. Alleinesein als Chance, jemanden vom Denken abzubringen einerseits, Einzelhaft als Denkanstoß andererseits.
Wird vom Typ abhängen, denke ich. Der Eine hört auf zu denken, wenn er lange genug alleine ist, beim Anderen geht es erst so richtig los mit dem Denken, wenn er alleine ist. Große Denker waren immer einsame Menschen. Nähe verhindert Denken. Distanz ist wichtig, um effizient denken zu können. Distanz zu den Menschen, Distanz zu den Ereignissen. Denken ohne konkreten Anlass. Das muss das Ziel sein. Nur wer denkt, lebt. Leben ist Denken. Denken ist Leben. Das Leben spielt sich im Kopf ab, denke ich. Denken hält lebendig. Denker sind mobile Menschen. Denker haben keine Kästchen. Denker haben keine Schubladen. Denker sind frei. Nur wer frei ist kann denken. Denken überwindet Grenzen. Eigene und fremde. Für Denker gibt es keine Grenzen. Denken ist grenzenlos. Die Herrschaft der Denker. Irgendwann einmal wird diese Welt von Denkern regiert werden. Wir werden die Weltmacht erlangen nur durch die Kraft des Denkens. Denker aller Länder, vereinigt euch! Wacht auf, ihr Denker dieser Erde!
Video zu „Köpfe”-Text „Manchmal habe ich das Gefühl ...”