Die Bücher


 

 

 

 

Auf und ab

 

Verlag: Bibliothek der Provinz

ISBN: 3852520088

 

Wenn es dunkel wird

 

Er konnte sich nur sehr ungenau erinnern. Man hatte ihm die Arme und Beine an diesem Tisch festgebunden. So festgebunden, daß er sich fast nicht hatte bewegen können. Seine Hoden lagen auf dem abwaschbaren Bezug auf. Er war kalt gewesen, als sie ihn daraufgelegt hatten, dieser Bezug. Er hatte ihn nach und nach angewärmt, nach dem Schock der ersten Berührung mit dem kalten Untergrund. Sie hatten ihm die Beine auseinander gezogen zum Festsschnallen. Seine Arme hatten sie ebenfalls auseinander gezerrt. Sie schmerzten. Die christusähnliche, unnatürliche Haltung führte zu Muskelspannungen, die er nicht gewohnt war. Er lag also nackt auf diesem Tisch. Die Arme und die Beine gespreizt, fixiert jeweils durch Ledergurte. Sein Innerstes zitterte vor Angst. Sein Körper reagierte mit eisiger Kälte auf diese Situation der Ausgeliefertheit einer ihm unbekannten Macht. Er spürte die Angst. Zuerst war sie in seiner Brust gesteckt. Langsam wanderte sie in seinen Bauch. Dort verdichtete sie sich, behutsam jeden Hohlraum, jede Faser ausfüllend, zu einer mehr und mehr ihn von innen heraus auffressenden Bestie.

 

Der Druck in seiner Bauchgrube wurde immer stärker. Mit einem Mal klappte die Bauchdecke auf. Vom Nabel aus öffnete sich sein Körper. Riß zuerst die Haut. Dann brach das Fleisch. Riß auf. Legte den Blick frei auf seine Eingeweide, die pulsierten und bebten. Erschrocken hatte er die Augen aufgerissen, als er diesen Vorgang sich anbahnen gespürt hatte. Er lag jetzt mit hochgerecktem, zitterndem Kopf, seine Innereien beobachtend, auf dem Tisch. Unfähig, etwas zu tun. Unfähig, etwas zu denken. Nur das Fühlen war ihm noch möglich. Und dieses Fühlen wurde mehr und mehr eine Reise durch seine Angst. Eine Reise mit unbekanntem Ende. Was würde passieren? Was mußte passieren? Passieren, damit er erlöst werden würde? Eine Ameise kletterte auf der Plastikunterlage herum. Auf der Suche nach etwas, was er nicht wußte. Sie stieß mit ihren Fühlern an seinen Oberschenkel. Er spürte es nicht einmal. Sie zuckte sofort zurück. Wich irritiert einige Ameisenschritte zurück. Nahm sich dann aber die neue Situation vor. Suchte nach einem Aufstieg auf dieses Hindernis. Klammerte sich fest an seiner Haut. Schaffte den Fleischberg. War dann, einmal überzeugt von der Notwendigkeit ihres Tuns, schnell auf der Oberseite seines Beines. Sie tastete sich weiter vor.

 

Kam zu der Stelle, wo die Behaarung des Oberschenkels auslief, die Flaumbehaarung des Hüftbereiches begann. Ging weiter vor auf ihrem Erkundungszug über seinen Körper. Fand sich im Ansatz seiner Schambehaarung. Zuckte zurück. Wechselte die Richtung. Kam zu dem Teil der Bauchdecke, der aufgebrochen war.

 

Erkletterte mühsam das überhängende Fleisch. Er spürte das Kitzeln ihrer kleinen Füßchen umkippen in ein Stechen. Sie stapfte auf seinem Bauchfleisch herum. Wußte nicht, was sie tat. Dann allerdings ging sie zurück. Auf dem selben Weg, auf dem sie auf sein Bauchfleisch gekommen war. Kletterte auf seinen Oberschenkel. Dann auf die Plastikunterlage des Tisches. Verschwand schließlich aus seinem Gesichtsfeld. Er war erleichtert. Er hatte die Ameisenfolter hinter sich. Ließ seinen Kopf auf die Unterlage sinken. Er schloß die Augen. Entspannte sich etwas. Kaum aber hatte er seine Ruhe halbwegs wieder gefunden, da hatte er eine schlimme Vorahnung. Ruckartig riß er seinen Kopf hoch. Sah, wie die ersten einer langen Reihe von Ameisen den Weg auf ihn zu nahmen.